Wann sind Hilfsmittel echte Hilfsmittel

Vielleicht liest auch Du immer wieder Diskussionen, wenn es um Hilfsmittel am Pferd geht – ganz egal, ob es sich dabei um Gerten, Sporen, Ausbinder usw. handelt.

Doch wo zieht man eigentlich die Grenze zwischen Ausrüstung und Hilfsmittel?

Und was ist nun sinnvoll, was nicht?

Ist Freiheitsdressur überhaupt frei?

Vor allem in der Freiheitsdressur wird jeglicher Ausrüstungsgegenstand am Pferd heiß diskutiert.

Denn das „frei“ in Freiheitsdressur bedeutet ja auch Freiheit, oder? Die Freiheit zu gehen, die Freiheit „Nein“ zu sagen – und das braucht entsprechend mehr Vertrauen, oder? Und weder ein Knotenhalfter, noch ein Seil, richtig?

An diesem Punkt der Diskussion gibt es meiner Meinung nach eine ganz grundsätzliche Entscheidung, die jeder für sich treffen sollte.

Denn ja, Freiheitsdressur ist „frei“ und doch basiert unser Training ja darauf, unserem Pferd die Nähe zu uns sehr angenehm zu machen – und das Weglaufen eher anstrengend.

Da wir dabei eigentlich immer in einem eingezäunten Bereich arbeiten, ist unser Pferd also niemals „wirklich frei“. Und das sollte es aus Sicherheitsgründen bitte auch nie sein!

Was ich damit aber sagen möchte:

Jede Art von Pferdetraining nimmt Einfluss auf die „Freiheit“ des Pferdes.

Selbst die Haltung macht unser Pferd mehr oder weniger „unfrei“ – denn am Ende der weitläufigsten Wiese wartet ja doch wieder ein Zaun. Doch das muss per se nichts schlechtes sein!

Schon Freddy Knie, sozusagen der Begründer der Freiheitsdressur, hat gesagt: „Die Freude an der Arbeit ist der Ersatz, den wir dem Pferd geben sollten für die verloren gegangene Freiheit.“

Und so sehe ich das auch. Ganz unabhängig von der Frage, welche Hilfsmittel nun ans Pferd gehören und welche nicht.

Im Vordergrund sollten wir alles, was wir tun, zuerst einmal FÜR unsere Pferde tun. Und erst viel viel später für uns und die Fortschritte in unserem Training.

Die erste Frage, die wir uns bei jedem Ausrüstungsgegenstand und jedem Hilfsmittel stellen sollten, ist also:

Hilft dieser Gegenstand mir oder meinem Pferd?

Und wenn Du diese Frage nicht ganz klar mit „meinem Pferd“ beantworten kannst, solltest Du die Sinnhaftigkeit dieses Gegenstand, seinen Einsatz und auch Deinen Umgang damit jedenfalls ganz objektiv hinterfragen.

Doch was bedeutet das jetzt für Sattel, Trense, Sporen und Co.?

Gehen wir doch einfach mal die Ausrüstungsgegenstände, die wir täglich ganz selbstverständlich an unser Pferd packen mit Hilfe dieser Fragen gemeinsam durch.

Für den Sattel ist sie auf jeden Fall recht einfach zu beantworten:

Der Ursprungsgedanke war, den Rücken des Pferdes – vor allem bei langen Ritten – zu schützen.

Er verteilt unser Gewicht weniger punktuell, hält die Wirbelsäule frei und ist (hoffentlich!) für unser Pferd angenehm zu tragen, weil er genau auf dessen Rücken angepasst wurde.

Natürlich verhilft die ein oder andere Pausche auch uns zu einem sichereren Sitz, doch der Grundgedanke bleibt „pro Pferd“.

Natürlich kannst Du auch immer wieder ohne Sattel reiten und in kurzen Einheiten fördert das Deinen Gleichgewichtssinn und ist gut für Deinen Sitz, aber lange Wanderritte würde ich ohne Sattel eher nicht empfehlen ?

In Sachen Trense sieht die Sache dann schon etwas anders aus.

Denn sie dient vor allem uns als Reitern, indem sie uns hilft dem Pferd im Zweifelsfall klare Anweisungen für „rechts“, „links“ und „Steh“ zu geben – vor allem dann, wenn unsere Gewichts- und Körperhilfen versagen.

Nutzt sie also uns oder dem Pferd? Ganz unabhängig davon, ob wir nun ein Gebiss verwenden oder nicht? Die Antwort ist ziemlich eindeutig: Vor allem uns.

Das heißt jetzt allerdings auch nicht, dass Du in Zukunft nur noch mit Halsring reiten sollst.

Denn Sicherheit geht immer vor! Aber verstehst Du, worauf ich hinaus will?

Eigentlich sollte es unser Ziel sein, dass fast jeder Gegenstand am Pferd „überflüssig“ wird – doch in der Realität macht es Sinn, sich ganz bewusst für oder gegen einen bestimmten Ausrüstungsgegenstand oder ein Hilfsmittel zu entscheiden.

Nicht umsonst heißt es in Sachen Trense, wie wichtig ein Zügel unabhängiger Sitz ist – und wie wichtig es ist, vor allem mit dem Körper und seinem Gewicht zu reiten.

Eines der Hilfsmittel, für die ich mich dennoch ganz bewusst entschieden habe, ist zum Beispiel die Gerte.

Sie ist aus meinem Training für mich kaum wegzudenken – einerseits, weil ich mit der Gerte als verlängertem Arm bestimmte Bereiche meines Pferdes besser und sicherer erreichen kann, z.B. indem ich die Hinterbeine antippe um sie gezielt für die Bergziege nach vorne zu holen.

Durch diese „Armverlängerung“ haben die ganz klar definierten Punkte, auf die ich bei meinem Pferd zeige oder unterstützend tippe, auch weniger Einfluss auf meiner sonstige Körpersprache – sonst müsste ich mich ja bücken, um die Hinterbeine zu berühren.

Außerdem ist es auch wieder sicherer, denn mit der Gerte kann ich beispielsweise auch ein dominantes Pferd auf Abstand halten – bevor es bis auf eine Armlänge an mich heran getreten ist, um mit der Hand auch einen taktilen Reiz zu geben, der es aus meinem Tanzbereich heraus schickt.

Das eine ist also sozusagen prophylaktische Arbeit, bevor das Pferd Grenzen verletzt, das andere ist “Aufräumen nach dem Sturm” – denn dann hat das Pferd diese Grenzen bereits verletzt.

Für mich überwiegen hier also ganz klar die positiven Aspekte, wie Sicherheit und eine für das Pferd klarere und nachvollziehbarere Kommunikation.

Und solange ICH die Gerte in der Hand habe, entscheide ja auch ICH wie sie benutzt wird.

Der einzige Faktor, der Einfluss darauf hat, ob diese Gerte für unangebrachte Bestrafung, Schläge oder ähnliches verwendet wird, bin also auch ICH.

Und da Gewalt im Training für mich ein absolutes NoGo ist, kann ich die Gerte – ebenso wie die Sporen – für mich guten Gewissens benutzen.

Womit wir auch direkt beim nächsten Hilfsmittel wären: Den Sporen.

Was ich von ihnen halte und wie ich sie benutze, erkläre ich Euch deshalb nochmal in Bild und Ton ?

 

Ist gut auch gut genug?

Zusammenfassend lässt sich sagen: Wenn Du Dich bewusst für ein Hilfsmittel entscheidest, ist das in Ordnung – vorausgesetzt Du entscheidet auch immer für Dein Pferd.

Einen Ausbinder zu nutzen, nur weil der Weg, Deinem Pferd am Kappzaum zu erklären, wie es beim Longieren ausbalanciert und physiologisch korrekt im Kreis laufen kann, länger dauert, ist für mich beispielsweise kein Argument.

Doch dass ich mein Pferd im normalen Alltag mit Halfter und Strick führe, um mich, mein Pferd und andere vor unkontrolliertem Erschrecken meines Pferdes oder ähnlichem zu schützen, ist ein sehr gutes Argument für „mehr Kontrolle“ – auch wenn das im ersten Moment wie ein Widerspruch zur Freiheitsdressur klingt.

Wie bei vielen Themen sind die Entscheidungen hier ein schmaler Grat zwischen Deinen Werten und Prinzipien und der allgemeinen Sicherheit, die Du für Euch alleine immer wieder neu treffen kannst und musst.

Und das ist auch gut so! Denn jedes Pferd-Mensch-Team geht seinen eigenen Weg.

Sich dabei bewusst zu machen, dass wir jeden Tag, immer wieder aufs Neue, möglichst viele Entscheidungen für unsere Pferde treffen sollten, ist definitiv ein großer Schritt in die richtige Richtung!

Denn das hilft zu hinterfragen, ob das, was „schon immer so gemacht wurde“ tatsächlich gut ist oder ob es an der Zeit für etwas Neues ist: Und erst das, macht uns doch zu reflektierten und guten Pferdemenschen, oder?

In diesem Sinne wünsche ich Dir heute ein paar bewusste Antworten im ganz alltäglichen „Höher, schneller, weiter“-Wahnsinn ?

Alles Liebe,

Deine Kenzie

 

"So startest Du erste Führübungen in der Freiarbeit..."

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